Weihnachten 2016
“Das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt,
in einer Krippe liegt.” Lk 2, 12
Eine unendliche Kette. Wir wohnen einer unendlichen Aneinanderreihung von Konflikten bei, über die wir zudem gut unterrichtet sind. Konflikte mit mir selbst, im zwischenmenschlichen Bereich, unsere Konflikte, die der anderen, auf persönlicher und sozialer Ebene, politisch und wirtschaftlich, weltweit und universal, Mikro- und Makrokonflikte. Wir sind so unbeholfen in unseren Beziehungen untereinander!
Wie können wir der Endlosschlaufe des Hasses ein Ende setzen? Wie die kaputten Verbindungen wiederherstellen, wie das zerrissene Tuch wieder zusammennähen, das sich im Kreis drehende Leben, das groβe Loch, das in jeder Kreatur seine Spuren hinterlässt? Wie diese Welt neu schaffen? Womit die Welle der Gewalt brechen? Die Geburt unseres Herrn richtet unseren Blick auf die Anfänge des Lebens, wenn unser menschliches Wesen beginnt sich heranzubilden.
Wir werden nackt und verletzlich geboren. Wir kommen vorzeitig zur Welt, und über lange Zeit benötigen wir die anderen zum Leben, was uns bedürftig und verletzlich macht und wodurch wir Schritt für Schritt grundlegende Abwehrmechanismen oder Vertrauenshaltungen entwickeln: eine argwöhnische und ängstliche Postur der Gefahr gegenüber oder ein Sich-überlassen und Vertrauen, weil wir unser Leben in sicheren Händen wissen. Unsere anfängliche Verletzlichkeit, unser Ausgesetztsein all dem gegenüber, was man mit uns machen könnte, aufgrund unserer Frühgeburt das Leben nicht aus eigenen Kräften meistern können, macht uns zu hilfsbedürftigen Wesen: Wir müssen angenommen werden, gepflegt, geführt, begleitet. Jemand muss unsere Nacktheit und Ohnmacht bedecken!
Die Zärtlichkeit der ersten Lebensphase. Unser Leben hat gute Chancen zu gelingen, wenn jemand es annimmt und umfängt, nach ihm schaut und sich kümmert, es stützt und korrigiert, es vor Gefahr rettet und begleitet. Letzten Endes fühlen wir uns zuhause in dieser Welt dank unserer zwischenmenschlichen Bande, diese wesentliche Vernetzung, die die “Wiege des Seins” bildet und die mit dem mütterlichen Kontakt beginnt, durch die Berührung und Zärtlichkeit, die Umarmung, den Blick, die Liebkosung.
Die Mutter setzt diese erste Vernetzung in Gang. Dass wir nicht von Hass, Neid, Aggressivität beherrscht werden, hängt zum Groβteil von der Zuwendung ab, die wir in der Kindheit erfahren haben, dass unsere eigene Zartheit mit Zärtlichkeit umfangen wurde, dieses “noch Unfertige”, das noch zarte Weiche des Neugeborenen, wie ein noch ungebackenes Brot. Diese Zartheit, die eine intensive Zuwendung benötigt, spiegelt sich im Bild der Zärtlichkeit der Mutterschaft (schützende Zärtlichkeit) wieder, die in sich fürsorgend ist, die ins Leben ruft, die das Kind umfängt, es birgt und vor Gefahren schützt, vor Hunger, Schmutz, vor der Grausamkeit der anderen … Diese erste Fürsorge knüpft ein Band, das erste und langfristigste Band. Zunächst konkretisiert es sich in der Annahme (der Umarmung), der Fürsorge (Wachstums- und Enwicklungsförderung), der Versorgung (durch das Stillen) … und später, wenig später, wird das Kind an der Hand geführt, ihm wird das Gehen durchs Leben beigebracht, ihm wird Leben gelehrt, es wird gezielt zurechtgewiesen, korrigiert … Aus diesen Momenten erwachsen auch unsere künftigen Verhaltensweisen.
Das Zeichen des Friedens und der Versöhnung. Wir haben die Zärtlichkeit Gottes kennengelernt, sein tiefstes mütterliches Wesen (Jes 49, 15) mit seinen Kindern, die er wie ein Vater auf ihren Wegen führte (Dt 3, 1; Ex 15, 13; 34, 6). Gott ist ein zärtlicher Gott, der sich als Gott Mutter, Vater und Gemahl erfahren lässt. Das Erstaunliche ist, dass dieser selbe Gott der Zärtlichkeit nun Zartheit wurde, liebens-würdige Schwachheit, Zerbrechlichkeit, unermessliche Bedürftigkeit, mit dem Ziel, eine Brücke der Versöhnung mit dem Menschen zu errichten (Kol 1, 12 – 20) durch eine Mutter, durch einen Sohn, durch die Zärtlichkeit.
“Das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt” (Lk 2, 12). Ein Kind, dessen Blick voller Innigkeit auf einer Frau ruht: Gott kann endlich in einem Sterblichen ruhen, in einem menschlichen, leiblichen “Ja” einer Mutter (Lk 1, 38). Welch kostbare Ausgieβung des Meeres Gottes in das menschliche Meer! Das innerste Wesen Jahwes, voller Barmherzigkeit für den Menschen, in Marias innerstem Sein, voller Zärtlichkeit für das Gotteskind. Die mächtige und zärtliche Hand Jahwes in der zarten Hand des Mädchens, das das spärliche Haar des Neugeborenen zerzaust. Eine zärtliche Liebkosung gleich der Brise, in der sich Jahwe vergegenwärtigte (1 Kön 19, 3 – 15). Gott und Mutter eins, vor dem seit aller Zeit Geliebten, im Himmel und auf der Erde, durch den Vater und die Mutter, Eltern einer unermesslichen, ewigen, unendlichen Zärtlichkeit.
Ja, das wird das Zeichen sein: Der Gott der Zärtlichkeit wird ein Kind und genieβt die Zärtlichkeit eines Sterblichen. Der ewig zärtliche Gott. Nur die aus seinem Innersten strömende Barmherzigkeit konnte uns die Menschwerdung schenken, nur die unendliche Liebe Gottes konnte einen Schoβ gleich seinem eigenen schaffen, um den Sohn zu beherbergen, nur seine weite und wahrhaftige Liebe scheut es nicht, sich ganz klein zu machen, um das Verlorene wiederzufinden, sich mit dem Kleinen klein zu machen, sich mit dem Menschen Mensch zu machen, damit dieser die zärtliche Liebe Gottes kennen lernen kann, die alle Erkenntnis übersteigt, alles, was wir uns selbst ausdenken und erfinden könnten (Eph 3, 19).
Demütig, um das Band wieder herzustellen. Es gibt keine Zärtlichkeit ohne Demut. Dem Wunsch des Menschen, wie Gott zu sein, steht das marianische “Ja” und sein vermittelndes Wort der Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen entgegen: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn.” Wenn der erste Bruch eine Rebellion zur Ursache hatte, so kommt die definitive Versöhnung durch eine Frau, die sich aus freiem Willen dafür entscheidet, Gott zu dienen. Und Gott, der für den Menschen das allerhöchste Gut war, so dass er sogar anstrebte, sich dieses göttliche Attribut zu eigen zu machen, wird seinerseits Diener des Menschen, von einer Frau geboren, mit dem Bedürfnis nach menschlicher Zärtlichkeit, denn er selbst hat die Macht und die Herrlichkeit eingetauscht gegen die Zartheit eines Neugeborenen. In diesem Moment verkünden die Engel vom Himmel aus den Frieden, und zwar einen Frieden, der nicht durch Waffengewalt, nicht durch den Stolz und Hochmut der Menschen wiedergewonnen wurde, sondern durch die Demut Gottes und die Demut einer Frau: Maria.
Gott hat den Weg der Versöhnung mit dem Menschen gewählt: den Verlust aller Rechte seinerseits, bis hin zur tiefsten Erniedrigung, indem er ein bedürftiges und verletzliches Geschöpf wurde, das umsorgt werden muss. Ein Geschöpf, das seiner grundlegenden Pflicht nachkommt, nicht etwas sein zu wollen, was es nicht ist, sondern auf sich zu nehmen, was es vor Gott selbst ist, um ihm zu dienen und ihn anzubeten, sich zu seinen Füβen zu setzen, ihn zu umsorgen wie einen Sohn.
Die Zärtlichkeit birgt in sich eine wesentliche Eigenschaft: mit dem Schwachen schwach zu werden, klein mit dem Kleinen, die Zartheit des anderen zu umarmen und ihm aus freien Stücken dienen zu wollen. Das zerrissene Band wurde wieder neu zusammengefügt, weil die liebevolle Demut, die der Zärtlichkeit entspringt, sich nicht scheut, auf den Bedürftigen oder den Andersartigen oder den Abgesonderten zuzugehen. Das Zeichen wird dieses sein: eine Mutter, die den Sohn aufnimmt und in Windeln wickelt … um jegliche Rebellion gegen Gott zu entwaffnen, liegt er in einer Krippe; er entwaffnet den Menschen, indem er ihm das Privileg einräumt, ihn in seinem Schoβ zu tragen.
Wir müssen diese Szene immer und immer wieder betrachten, um in sie eindringen zu können, an sie glauben zu können und daraus ein Lebensmodell zu machen: beginnen, die demütige Zartheit zu leben und sich umsorgen, annehmen, führen zu lassen, sich in jeder Hinsicht klein zu machen … und die demütige Zärtlichkeit zu leben, die dem anderen erlaubt, das grundlegende Vertrauen wiederzufinden zur Heilung all seiner gewaltsam verursachten Wunden, mit der alleinigen Absicht, versöhnt zu leben mit Gott und den Mitmenschen, mit der Welt und allem, was existiert.
Die Geburt Jesu ist ein Geheimnis der neu erschaffenden Zärtlichkeit. Wir beginnen mit der Zärtlichkeit, um zur Versöhnung zu gelangen. Dies ist, wie Gott sich im Schoβ der Dreieinigkeit den Beginn der Erlösung des Menschen erdacht hat. Lasst uns den Schmerz der Kriege unserer Welt vor Augen und im Herzen tragen, den Schmerz der Kinder, der Mütter, der Menschen … Der Schmerzensschrei des Mittleren Ostens trifft heute auf eine stumme und abweisende, gleichgültige und verhärtete Welt. Lassen wir zu, dass der Gott der unendlichen Zärtlichkeit in unseren Häusern geboren wird, in unseren Gemeinschaften, in unseren Dörfern und Städten, damit eine neue Art des Umgangs miteinander die Fesseln unserer Drohungen und unserer Streitigkeiten, unseres Hasses und unserer Entzweiungen sprengt. Welche Zärtlichkeit wird unsere Welt retten? Gottes Zärtlichkeit, der Kind wurde, und die der Mutter, die es in ihrem Schoβe wiegt.
Ein frohes Weihnachtsfest des Herrn.
M. Prado
Monasterio de la Conversión
Sotillo de la Adrada, Avila
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